Anästhesie
Man kennt sie aus dem Fernseher, Erzählungen oder eigener Erfahrung – trotzdem bleibt die «Narkose» oder «Anästhesie» ein Mysterium. Hier erklären wir, was eine Narkose alles mit sich bringt.
Lokal- und Regionalanästhesie
In der Hausarztpraxis wenden wir Formen der Lokal-Anästhesie an: Wenn eine Massnahme nur Sekunden dauert (z.B. Abtragen eines kleinen Hautanhängsels) kann dies in Kältenarkose durchgeführt werden. Wenn der Eingriff länger als einige Sekunden dauert, aber wenig schmerzhaft ist, kann eine Lokal-Anästhesie-Creme aufgetragen werden (z.B. beim Abtragen von Dellwarzen bei Kindern).
Wird hingegen eine stärkere, längere Betäubung notwendig, können wir ein Medikament unter die Hautoberfläche spritzen, welches die Hautnerven im Umfeld der Injektion für einige Stunden empfindungslos macht. Dadurch können bspw. Muttermale verlässlich entfernt, Verletzungen sauber genäht oder Fremdkörper entfernt werden.
Neben diesen Formen der Hautnerven-Betäubung können auch grössere Nervenstränge einer Extremität anästhesiert werden. Dann spricht man von einer Regional-Anästhesie oder der Teilnarkose. Vielen dürfte die «PDA» (auch «EDA» Epiduralanästhesie genannt) und die Spinalanästhesie ein Begriff sein. Dabei werden durch ein dünnes Schläuchlein Nervenbetäubungsmittel in die Nähe der Rückenmarksnervenstränge gespritzt, worauf der Unterleib und die Beine für mehrere Stunden praktisch vollständig empfindungslos werden. Vorteil davon ist, dass der Rest des Körpers und v.a. das Hirn wach bleiben. In dieser Empfindungslosigkeit können Babys schmerzarm zur Welt gebracht, Knieprothesen implantiert und Knochenbrüche oder grössere Wunden an den Beinen versorgt werden.
Vollnarkose
Wer im Alltag von einer Narkose spricht, der meint meist die Vollnarkose, also jene Anästhesieform, bei der der Patient schläft. Man wird aber nicht nur mit Medikamenten über die Vene schlafen gelegt – der Körper nimmt nämlich auch im Schlaf Schmerz wahr. Eine Narkose besteht vielmehr aus verschiedenen Puzzleteilen, welche stark voneinander abhängig sind:
Schmerz, Atmung und Schlaf
Eine Narkose ist prinzipiell notwendig, weil die Chirurgen dem Körper Schmerzen zufügen, welche mit sehr starken Schmerzmitteln gelindert werden. Die starken Schmerzmittel führen jedoch zu einer Dämpfung im Atemzentrum des Körpers; er atmet als Nebenwirkung des Schmerzmittels nicht mehr selber. Das bedeutet, dass die Atmung unterstützt werden muss. Das macht der Narkosearzt oder die Narkoseärztin mit einem Gummischlauch (Tubus), welcher in die Luftröhre eingelegt und dort mittels eines aufblasbaren Ballons abgedichtet und in Position gehalten wird.
Weil es relativ unangenehm wäre, bei vollem Bewusstsein nicht mehr selber zu atmen, den starken Rausch der Schmerzmittel zu verspüren und einen Schlauch in die Luftröhre gelegt zu bekommen, wird dem Patienten vorgängig ein Schlafmittel über die Vene verabreicht. Bei Kindern und einigen anderen Patienten wird der Schlaf noch vor dem Einlegen eines Venenkatheters mittels Narkosegas herbeigeführt, um sie vom Stress dieser Vorbereitungen abzuschirmen.
Schutzreflexe
Wenn also Schlaf- und Schmerzmittel gegeben werden, ist der Körper entspannt und schmerzfrei. Die Atemorgane (also Rachen, Kehlkopf, Luftröhre und Zwerchfell) sind jedoch von starken Schutzreflexen – dem Hustenreflex und dem Brechreiz geschützt – welche verhindern, dass etwas unsere absolut lebenswichtige Atmung behindert. Wenn also etwas (bei der Narkose der Tubus) in die Atemwege gerät, könnte es trotz schmerzfreiem, tief schlafendem Körper zum Husten oder Erbrechen kommen, was gefährlich würde. Dieses Risiko wird mittels eines Wirkstoffes (Relaxans) abgefangen, welcher die Muskulatur während der Einlage des Beatmungsschlauches weitgehend lähmt.
Nun kommen noch weitere Aspekte hinzu:
Blutdruck und Herzrhythmus
Der Blutdruck fällt durch Schlaf-, Schmerz- und Muskelentspannungsmittel ab, bei Baucheingriffen kann er stark schwanken und durch Implantat-Klebstoffe kann er plötzlich in die Höhe schnellen. Solche Schwankungen können z.B. für Herzkranke bedrohlich werden, weshalb Blutdruck und Puls dauernd überwacht werden müssen. Dies kann mit einer Blutdruckmanschette am Arm geschehen, welche alle paar Minuten automatisch aufpumpt – oder es wird eine Plastik-Sonde in eine Arm-Arterie eingelegt, womit der Blutdruck in Echtzeit abgeleitet werden kann. Über den Venenkatheter können dann nach Bedarf schnellwirksame Wirkstoffe zur Blutdruck-Korrektur verabreicht werden.
Zeigt sich in den ebenfalls überwachten Herzströmen (EKG) eine Veränderung, so kann auch Diese behoben werden.
Blutverlust, Temperatur und Körpersekrete
Das Narkoseteam ist spezialisiert auf den Ausgleich von Blutverlusten, muss die Körpertemperatur überwachen und mit Wärmedecken ausgleichen, Magen- und Urin-Sekrete in Auffangbeutel ableiten und die Operationssaalbelegung koordinieren – also dem OP-Team den Startschuss für die Narkose-Vorbereitungen beim nächsten Patienten geben, sobald die Operation sich dem Ende neigt.
Zu diesem Zeitpunkt tritt dann auch die Nachbehandlung des in Narkose befindlichen Patienten in den Fokus: Die starken Schmerzmittel können nach dem Ende der Narkose nicht mehr gegeben werden, da sonst die Atmung zu schwach und der Blutdruck zu tief wären. Es werden folglich verschiedene Anschluss-Schmerzmittel verabreicht. Und gegen die Übelkeit, welche Schmerz- und Narkosemedikamente hinterlassen können, werden lindernde Wirkstoffe gespritzt.
Nach dem Stopp der Narkosemittel erwacht der Patient innert weniger Minuten, atmet wieder selber und reguliert Husten-, Schlucken-, Wärmehaushalt- und Blutdruck wieder selbst.
Sedoanalgesie («Schläfrigkeit» kombiniert mit «Schmerzlinderung»)
Bei dieser Form der Anästhesie werden die Schlaf- und Schmerzmittel der Vollnarkose in reduzierter Dosierung und nur über kurze Zeit verabreicht. Dies ist dann hilfreich, wenn eine Operation tendenziell wenig Schmerzen verursacht und schnell vonstattengeht. Es wird so viel Schmerz- und Schlafmittel verabreicht, dass der Patient nichts mitkriegt und doch so wenig, dass er noch selber atmet. So muss der Atemschlauch nicht eingelegt, der Hustenreiz nicht unterdrückt und der Blutdruck in der Regel nicht gestützt werden. Eine Sedoanalgesie wird oft für eine Nierensteinentfernung oder eine Gewebeprobeentnahme gewählt.
Fortschritte
Dank dem technischen und pharmazeutischen Fortschritt sind Anästhesietechiken heute bedeutend schonender und auch besser «on time» durchführbar. So können dank kurzwirkender Medikamente Narkosen nach Wunsch rasch beendet werden und es entstehen durch die Überwachung der Schlaftiefe mittels Hirnstromanalysen weniger Belastungen für den Organismus. Dank der Ultraschalltechnik entstehen weniger Probleme beim Einlegen der Schmerz- und Sondenschläuche und dank fiberoptischer Kameras kann der Beatmungsschlauch einfacher eingelegt werden.
«Narkosedemenz»
Die gelegentlich nach einer Operation beobachtete, vorübergehend verminderte geistige Leistungsfähigkeit wurde wiederholt in Studien untersucht. Bisher fand sich nie ein direkter Zusammenhang mit der Vollnarkose. Es wird viel mehr vermutet, dass Dies durch den Stress, welcher durch die operationsbedingten Verletzungen/Schmerzen, den Spitalaufenthalt und die vielen fremden Einflüsse verursacht wird, entsteht.