Harninkontinenz – Wenn die Blase Regie führt

Wir befassen uns heute mit einem häufigen Gesundheitsproblem, welches viele Menschen lange Zeit erdulden, bevor sie einen Arzt aufsuchen.

Harninkontinenz bezeichnet den unkontrollierten Verlust von Urin über die Harnröhre und kann vielfältige Ursachen haben. Meist sind entweder die Speicherfunktion der Harnblase oder die Verschlussmechanismen der Harnröhre aus unterschiedlichen Gründen beeinträchtigt.

Eine Harninkontinenz kann erhebliche gesundheitliche, soziale und psychische Einschränkungen für die Betroffenen mit sich bringen und die Lebensqualität stark reduzieren. Die Häufigkeit des Vorkommens in der Bevölkerung kann nur ungenau angegeben werden, da die Dunkelziffer aufgrund des mit einer Inkontinenz verbundenen Schamgefühls hoch ist. Schätzungen gehen davon aus, dass in der Schweiz knapp jede 5. Person von Inkontinenz betroffen ist, wobei Frauen häufiger als Männer erkranken und die Häufigkeit mit dem Alter zunimmt. Trotzdem sollte man eine Harninkontinenz nicht als normale Alterserscheinung akzeptieren, in vielen Fällen ist eine gute Behandlung der Beschwerden möglich.

Dabei unterscheidet der Arzt verschiedene Formen der Harninkontinenz, die unterschiedlich behandelt werden. Hier soll nur auf die drei häufigsten Formen eingegangen werden.

Synonym verwendet werde auch die Begriffe hyperaktive Blase oder Reizblase

Die Harnblase signalisiert dem Betroffenen starken Harndrang, unabhängig vom Füllungszustand. Diesem Drang muss sofort oder mit nur kurzer Verzögerung nachgegeben werden, sonst kommt es zum ungewollten Urinverlust. Meist entwickelt sich die Problematik schleichend, der Patient muss in immer kürzeren Abständen die Toilette aufsuchen und entleert dann nur eine kleine Menge Urin. Eine gesunde Harnblase hat ein Fassungsvermögen von ca. 400-600ml, bei der Dranginkontinenz gibt die Blase schon bei einem deutlich geringeren Füllungsvolumen „Alarm“.
Dabei kennen wir bestimmte Trigger für den Harndrang, beispielsweise Wasserkontakt oder die Haustür beim Verlassen der Wohnung. Erkrankte informieren sich häufig über sämtliche Standorte von WC’s an ihrem Weg.

Die Ursache einer Dranginkontinenz kann häufig nicht herausgefunden werden, gelegentlich kann aber auch eine ernste Erkrankung, beispielsweise eine Harnwegsinfektion, Blasensteine oder sehr selten auch ein Blasentumor dahinter stecken.

Hier liegt ursächlich eine Schwäche oder ein Versagen der Verschlussmechanismen der Harnröhre zugrunde. Die Gründe für eine Beckenbodenschwäche können eine angeborene oder altersbedingte Gewebe- oder Muskelschwäche sein, ebenso
Operationen im Beckenbereich, schwere Geburten, zahlreiche Schwangerschaften oder starkes Übergewicht.

Der Urinverlust geschieht bei Erhöhung des Drucks im Bauchraum, z.B. beim Husten, Niesen, Lachen oder Springen, in schwereren Fällen beim Lagewechsel vom Liegen oder Sitzen zum Stehen, beim Lasten heben oder bei sehr schwerer Belastungsinkontinenz auch unabhängig von der Körperposition. Häufig verlieren Betroffene den ganzen Blaseninhalt ohne die Möglichkeit, den Harnfluss zu unterbrechen.

Mischformen zwischen Drang- und Belastungsinkontinenz kommen oft vor.

Bei dieser Form der Inkontinenz sind überwiegend Männer betroffen. Aufgrund eines Abflusshindernisses nimmt die Blasenfüllung kontinuierlich zu und der Blasenmuskel wird überdehnt. Dadurch kann er seine Funktion, sich beim Urinlösen zusammen zu ziehen nicht mehr optimal erfüllen und es verbleibt immer mehr Urin in der Harnblase zurück. Schliesslich überdehnen auch die Muskeln, die für den Verschluss der Harnblase zuständig sind und eine geringe Menge Urin läuft durch die Harnröhre heraus, der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Problematisch dabei ist ein möglicher Rückstau des Harns über die Harnleiter zurück ins Nierenbecken, sodass die Leistung der Nieren beeinträchtigt werden kann.

Auch neurologische Erkrankungen können zu einer Überlaufblase führen, z.B. Querschnittslähmungen, multiple Sklerose oder andere.

Was macht der Arzt/die Ärztin?

Die erste Anlaufstelle ist Ihr Hausarzt, wenn Sie das Gefühl haben, unter einer Blasenschwäche zu leiden. Je nach Situation können Abklärungen beim Urologen oder der Gynäkologin nötig sein.

Zunächst werden Sie zu den Symptomen genau befragt: wie häufig tritt der Harndrang auf, müssen sie nachts aufstehen, erreichen Sie bei Harndrang rechtzeitig die Toilette, können Sie einen einmal laufenden Harnstrahl unterbrechen, gibt es auslösende Situationen, bestehen Schmerzen beim Wasserlösen oder ist der Urin blutig. Haben Sie Vorerkrankungen, oder hatten Sie Operationen im Becken oder Bauchraum.
Sie können sich auf die Konsultation mit einem sogenannten Blasentagebuch vorbereiten. Darin notieren Sie für 2-3 Tage mit Uhrzeit jeden Toilettengang, die Trinkmenge und Inkontinenz-Episoden.

In der Praxis wird eine Urinprobe untersucht, der Bauch abgetastet, bei Frauen eine gynäkologische Untersuchung und bei Männern eine Untersuchung der Prostata durchgeführt. Mittels Ultraschall kann die Restharnmenge (Urin, der nach subjektiv vollständiger Blasenentleerung noch in der Blase zurückgeblieben ist) bestimmt werden. Auch grössere Tumoren oder Blasensteine können so erkannt werden. Mithilfe dieser einfachen Abklärungen lässt sich die Form der Inkontinenz in den meisten Fällen schon sehr gut einordnen.

Therapie

Die Behandlung besteht in einem ersten Schritt aus nicht-medikamentösen Basismassnahmen.

Bei der Belastungsinkontinenz steht die Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur im Vordergrund. Das klingt einfach, ist aber oft schwieriger als man denkt. Versuchen Sie einmal, während Sie diesen Text zu Ende lesen, Ihre Beckenbodenmuskulatur bewusst anzuspannen und wieder zu entspannen. Wenn Sie das nicht auf Anhieb schaffen, ist das nicht ungewöhnlich. Die meisten Menschen müssen erst lernen, wie man diese wichtigen Muskeln willentlich anspannt. Hier hilft eine speziell ausgebildete Physiotherapeutin und natürlich regelmässiges Üben zuhause.

Die Dranginkontinenz wird in erster Linie mit einem Blasentraining beeinflusst. Hier kommt das Blasentagebuch wieder zum Einsatz. Sobald die Toilettengewohnheiten bekannt sind, wird versucht, den nächsten Gang zur Toilette hinauszuzögern, auch wenn dies zunächst nur für wenige Minuten gelingt. So wird der Blasenmuskel langsam daran gewöhnt, sich mehr zu dehnen und wieder grössere Füllungsvolumina zuzulassen. Dieses Training führt die betroffene Person nach Instruktion durch eine Fachperson in Eigenregie aus.

In einem nächsten Schritt stehen für beide Inkontinenz-Formen medikamentöse Optionen zur Verfügung, Mittel, die zu einer Entspannung des Blasenmuskels führen oder solche, die den Tonus des Schliessmuskels erhöhen. Bei Frauen jenseits der Menopause ist eine lokale Östrogentherapie mittels Cremen oder Vaginaltabletten häufig hilfreich.

Selbstverständlich sollen auch die Trinkgewohnheiten an die persönliche Situation angepasst werden, z.B. Erhöhung der Trinkmenge bei Reizblase oder Reduktion der Trinkmenge am Abend bei häufigen nächtlichen Inkontinenz-Episoden. Gewisse auslösende Faktoren für eine Reizblase, wie Alkohol, Nikotin, scharfes oder sehr salziges Essen sollten gemieden werden. Kürbiskernen und Preiselbeersaft wird eine beruhigende Wirkung auf die Blase nachgesagt, das Gegenteil bewirken Birnen und Zitrusfrüchte.

Falls diese Massnahmen nicht zu einer Verbesserung der Situation führen können nach fachärztlicher Abklärung auch chirurgische Verfahren, z.B. die Einlage von Harnröhren-unterstützenden Bändchen, Aufhängung des Blasenhalses, Einbau eines Neuromodulators („Blasenschrittmacher“), Kollageninjektionen oder Injektionen von blasenentspannenden Medikamenten in die Blase durchgeführt werden.

Die Überlaufinkontinenz wird meist primär durch Einlage eines Harnblasenkatheters durch die Harnröhre behandelt. Durch die kontinuierliche Ableitung des Urins kann ein „ausgeleierter“ Blasenmuskel seine Spannung wiedergewinnen und die Funktion der Harnblase in vielen Fällen wieder hergestellt werden. Natürlich muss ein Abflusshindernis, meist eine vergrösserte Prostata, beseitigt werden. Je nach Situation kann man dies medikamentös versuchen oder chirurgisch mittels Auskratzung der Prostata durch die Harnröhre. Falls dies nicht möglich ist, kann ein Harnröhrenkatheter auch dauerhaft getragen werden.

Wenn trotz aller Therapieoptionen keine zufriedenstellende Kontinenz erreicht werden kann, stehen moderne Inkontinenz-Produkte wie Einlagen oder Pants zur Verfügung, die Geruch absorbieren. Je nach Schweregrad der Inkontinenz übernimmt die Grundversicherung der Krankenkasse einen Teil der Kosten für diese Hilfsmittel.

Lassen Sie nicht Ihre Blase die Regie in Ihrem Leben übernehmen, sondern bestimmen Sie wieder selbst.

erstellt am 09.07.2023

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