Immer öfter wird empfohlen, Mikronährstoffe gegen Müdigkeit, Konzentrationsprobleme oder zur Leistungssteigerung einzunehmen. Dafür gibt es meist keine wissenschaftlichen Beweise.
Mikronährstoffe sind Stoffe, die für viele Vorgänge im Körper unverzichtbar sind. Anders als Makronährstoffe (Fette, Eiweisse, Kohlenhydrate) liefern sie aber keine Energie für die Körperzellen.
Die Entdeckung der Mikronährstoffe
Im 19. und 20. Jahrhundert entstanden durch Mangelernährung Krankheiten aufgrund von Mikronährstoffmangel. Man entdeckte, dass z. B. Skorbut durch Vitamin-C-Mangel und Kropf durch Jodmangel verursacht wird – und dass die Einnahme dieser Stoffe hilft.
Bemühungen um medizinischen Fortschritt
Heute versucht man, Therapien für Menschen mit geistigen oder körperlichen Leistungseinbussen zu entwickeln. In ausgefeilten Studien wird geprüft, ob sich dadurch Verbesserungen zeigen. Solche Studien sind jedoch schwierig, weil Mikronährstoff-Werte im Blut stark schwanken und mögliche Effekte erst nach Wochen oder Monate
n sichtbar wären. Trotzdem zeigen die meisten Studien keinen klaren Nutzen (mit wenigen Ausnahmen, siehe unten).
Warum boomt die Nahrungsergänzungsindustrie?
Obwohl es keine wissenschaftlichen Beweise gibt, wächst der Markt für Nahrungsergänzungsmittel stark. Viele selbsternannte «Berater» und auch Apotheken empfehlen Bluttests für Vitamine und verkaufen daraufhin teure, individuell zusammengestellte Präparate. Das ist erlaubt, weil Nahrungsergänzungsmittel – anders als richtige Medikamente – nicht unter das Heilmittelgesetz fallen. Sie müssen also nicht in Studien ihre Wirksamkeit beweisen.
Und dass die Präparate «Erfolg» haben, dürfte auf gezieltes Marketing, die Mund-zu-Mund-Propaganda und nicht zu Letzt den Placebo-Effekt zurückzuführen sein: Wenn jemand längere Zeit ungewöhnlich müde ist, sucht er meistens dann Hilfe, wenn die Erschöpfung am stärksten ist. Bekommt er dann ein Schein-Medikament und fühlt sich später weniger müde, denkt er schnell, das Mittel habe geholfen. In Wirklichkeit schwankt die Müdigkeit aber natürlicherweise – nach einem Höhepunkt folgt meist eine Besserung, auch ohne Medikament. Trotzdem glaubt die Person, dass das teure Präparat gewirkt hat, weil niemand gerne zugibt, Geld umsonst ausgegeben zu haben.
Auch für Ärzte ist es oft schwer, sich diesem Trend zu entziehen: Für viele Mittel fehlen Studien, Patienten wünschen sich schnelle Hilfe und berufen sich auf Bekannte, denen etwas geholfen habe. Neu kommt hinzu, dass Künstliche Intelligenz Studien oft falsch auslegt und sogar fehlerhafte Daten übernimmt.
Gesicherter Nutzen von Mikronährstoff-Ergänzungen:
Jod soll mittels jodiertem Speisesalz zugeführt werden.
Eisen soll in der Schwangerschaft oder bei Personen mit chronischer Müdigkeit gemessen und ggf. zugeführt werden, insbesondere bei Blutarmut. Es gibt jedoch keinen Hinweis, dass dies die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern würde.
Vitamin D
- In der Schwangerschaft empfohlen, da es Komplikationen vermindern kann.
- Sinnvoll bei Mangelernährung, sehr geringer Sonnenexposition, Osteoporose oder erhöhtem Sturz- und Knochenbruchrisiko.
- Messungen sind nur in genannten Fällen nötig, Verlaufskontrollen meist nicht.
- Ärztlich verordnete Therapie kann ohne Kontrollen weitergeführt werden.
- Längerfristige, hochdosierte Selbstmedikation ist schädlich.
Folsäure (Vitamin B9): Frauen mit Kinderwunsch sollen Folsäure schon vor der Schwangerschaft einnehmen, um das Kind zu schützen.
Vitamin B12 sollte geprüft werden bei chronischer Müdigkeit, sehr einseitiger Ernährung (z. B. bei Alkoholismus), bei Einnahme von Metformin und bei veganer Ernährung.
Vitamin C kann die Dauer schwerer Erkältungen vermutlich etwas verkürzen und die Symptomstärke lindern. Die prophylaktische Einnahme bringt hingegen nichts. Eine Blutspiegel-Messung ist nicht sinnvoll.
Der Nutzen anderer Mikronährstoff-Ergänzungen ist bislang wissenschaftlich nicht belegt.
Was bleibt denn nun?
Risikogruppen sollten sich ärztlich beraten lassen. Für alle anderen gilt: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse und Früchten reicht normalerweise aus. Wer sich ausserdem regelmässig bewegt, genug schläft, nicht raucht und Alkohol nur in Massen trinkt, braucht weder Mikronährstoff-Tests noch Ergänzungen – und vermeidet so auch mögliche Schäden durch eine Überdosierung.